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Bolivien - Aufbruch ins Abenteuer
 
 
 
 

Es dauert nicht lange, bis wir eine etwa drei Meter lange Anaconda aufstöbern, die am Rande eines kleinen Tümpels unter prächtigen Thalienblüten döst. In der Hoffnung, ein größeres Exemplar zu finden, reiten wir weiter und durchstreifen das Gelände. Zu Fuß wäre die Suche im sumpfigen Gras mühsam, aber mit den Pferden kommen wir hervorragend voran und haben vom Pferderücken aus zudem einen viel besseren Überblick. Es dauert nur eine halbe Stunde, bis wir unter Manuels Führung eine Anaconda von furchterregenden zehn Meter Länge mit mächtigem Schädel und einem Körper von der dicke eines Lastwagenschlauches ausfindig machen. Niemand wird sich beim Anblick eines solchen Monsters einer gewissen Furcht erwehren können, die der Mensch seit Urzeiten in sich trägt - um überleben zu können. Trotzdem, oder gerade deshalb, sind die ganzen Schauermärchen über Anacondas allesamt erfunden. Das ist ein wildes Raubtier, nicht mehr und auch nicht weniger. Es kommt tatsächlich vor, dass einzelne Personen, vor allem junge Kuhhirten, die nicht auf den Weg achten, von einer Anaconda zur Strecke gebracht und verschlungen werden. Das ist aber äußerst selten, tödliche Unfälle von Cowboys, die durch wild gewordene Zebus verursacht werden sind hundertmal häufiger. Wenn mehrere Personen zusammen unterwegs sind ist es fast nicht möglich, dass einer von ihnen Opfer einer Anaconda - Attacke wird. Wer nicht vor sich hinträumt wird eine Anaconda schon lange bevor er sie zu sehen bekommt riechen - sie verbreitet einen markanten, stechenden Mundgeruch. Packt ein Mensch eine Anakonda beherzt und tunlichst ohne gebissen zu werden genau hinter dem Kopf und drückt gegen den Hals, so verfällt die Schlange blitzartig in eine Art Kreislaufkollaps, das hat in etwa den selben Effekt, wie wenn ein Mann in die Eier getreten wird. Drückt man ihr auf diese Weise Nerven und Luft ab lässt die Anaconda sofort los und kann sich weder wehren noch angreifen. Direkt hinter dem Kopf sitzt ihr einzig schwacher Punkt - gewissermaßen die Achillesferse. In den Tierbeobachtungs- und Sightseeing Zentren von Rurrenabaque lieben es die Touristen, sich eine solchermaßen angewürgte paralysierte Schlange vom Führer um die Schultern legen zu lassen und so für Fotos zu posieren. Wenn man die Masse von Leuten, die dort unterwegs sind bedenkt, so kann man sich unschwer vorstellen, wie oft sich eine dort lebende Anakonda täglich würgen lassen muss! Das ist Schwachsinn und obendrein eine gemeine Tierquälerei. Mag diese Art von Touristen daheim noch so angeben mit solchen seltsamen Fotos - es ist absolut nichts dabei, eine völlig unsportliche Person kann sich ohne weiteres auch eine Anakonda um den Hals hängen lassen, dazu muss man nichts können oder besonders mutig sein. >>Unsere<< riesige Anaconda hat sich halb in einen kleinen Tümpel zurückgezogen, die obere Körperhälfte mit dem Kopf ragt noch aus dem Wasser - sie traut uns nicht und ist vor uns auf der Hut. Dieses prächtige und schwere Tier ist ein einziger Muskel und mit der Zugkraft eines kleinen Lastwagens. Eine Tötungsmaschine, deren Motor die Nahrungsbeschaffung und nicht Heimtücke ist. Wir sind aus den Sätteln gestiegen, gehen nahe auf die Anaconda zu, halten aber einen Sicherheitsabstand. Diese Grenze zwischen uns und der Schlange wird von beiden Gegenübern respektiert, durch dieses sich nicht einmischen wird ein Konflikt von vorneherein vermieden. In der Natur lernt der Mensch, sich nicht in direkte Opposition zu den Dingen zu stellen sondern ihnen nachzugeben, mit ihnen mitzugehen, um sie durch Nachgiebigkeit zu beherrschen. Der verknöcherte, steife moderne Mensch aus den Städten hat das oft verlernt. Er glaubt nicht selten, die Natur frontal bekämpfen zu müssen wie man in der Stadt einen unbeliebten Arbeitskollegen bekämpft und ist unnachgiebig und starr wie der Schatten des Todes. Wie der sterbende Baum, den der Sturm fällt, weil er nicht mehr nachgibt. Das spricht aus Worten wie >>den Berg bezwingen<< oder >>die grüne Hölle<<. Es spricht auch aus Taten wie >>eine Schlange besiegen<< - indem man sie sich um die Schulter hängen lässt und später auf das Foto deutend behauptet >>die stammt aus dem gefährlichsten Dschungel der Welt<<? Einem Dschungel, in dem seit alters her eine begrenzte Zahl von Menschen gut und sicher leben. Wenn es an einem Andenberg zwei Meter schneit, so gebietet die Vernunft, sich wegen der Lawinengefahr nicht mehr weiter hinaufzuwagen, auf die Umstände zu reagieren, nachzugeben und umzudrehen. Geht eine Seilschaft aber dennoch weiter statt umzudrehen und kommt dann, als logische Folge ihres unnachgiebigen Verhaltens, in einer Lawine um, so wird schnell vom >>Killerberg<< gesprochen, der >>zugeschlagen<< hat. Ich habe noch nie einen Berg >>zuschlagen<< sehen, obwohl ich in einem Gebirgstal aufgewachsen bin, es verhält sich vielmehr so, dass die Natur geachtet werden will. Zu folgsamen Kindern ist der Lehrmeister Natur gütig. Ich versuche stets, meinen Tourteilnehmern auf verständliche Weise das Prinzip der Nichteinmischung nahe zu bringen. Dazu ist einige Zeit nötig, denn viele Menschen aus Europa sind durch ihre stressige Arbeit so auf Hochtouren, dass es grundsätzlich eine ganze Weile dauert, bis sie >>entschleunigen<< - womit ich das Gegenteil von Vollgas geben meine. Weder der Berg noch die Schlange sind bösartig, das wird falsch gedeutet. Die Anaconda frisst nur alle Monate, sonst tut sie nicht viel. Sie erlegt nur Beute, wenn sie hungrig ist, nicht aus Lust am Töten, und führt darüber hinaus im satten Zustand ein extrem langsames Leben. Ihrer Beute läuft sie nicht nach, sie legt sich auf die Lauer, um ein meist unvorsichtiges oder krankes Tier aus dem Hinterhalt zu überraschen. Hat sie ein Beutetier, meistens ein Capibara, die größte lebende Nagetierart der Welt und bis 300 Kilogramm schwer, gepackt, umschlingt und erwürgt sie es. Das muss schnell gehen, ansonsten riskiert die Schlange lebensgefährliche Verletzungen durch die scharfen Zähne der durchaus nicht wehrlosen Capibaras. Weil der Anaconda zum Zerkleinern der Beute die Beißzähne fehlen muss sie ihr Mahl als Ganzes hinunterschlingen, mit Haut, Haar, Hörnern oder Klauen. Das dauert mehrere Tage und ist Schwerstarbeit. Hat sie das Capibara hinuntergewürgt liegt es ihr, noch unverdaut, wie ein Stein im Magen und sie kann sich fast nicht mehr bewegen. Dann ist sie völlig wehrlos. An dem Brocken verdaut sie danach wochenlang und braucht lange nichts mehr zu fressen. Ein in Millionen von Jahren bewährter Lebensentwurf. Uns genügt es, die wahrhaft riesige Schlange zu beobachten, sie tut uns nichts und wir tun ihr nichts. Aus dem kindischen Alter, in dem man sich beweisen muss, dass man ein Mann ist, indem man ein gegen drei Personen chancenloses Tier traktiert, sind wir längst heraus. Weil wir durchaus wissen, dass der Wald kein Kurpark ist hat Manuel gewohnheitsmäßig ein Gewehr dabei. Der Tag ist schon fortgeschritten und es wird Zeit, dass wir uns auf die Socken machen. Wir galoppieren zu einem vorab ausgemachten Treffpunkt am Ufer des Rio Tuichi, wo Celso bereits mit einem Motorkanu wartet, in das Jose und ich umsteigen. Wir verabschieden uns von Manuel, der schleunigst mit den Pferden nach Tuichi zurückkehren will und schippern einen braunen, träge fließenden Seitenarm des Rio Tuichi hoch. Es ist schon dunkel, als wir das Camp auf dem höchsten Punkt einer kleinen Insel im Fluss errichten. Ein langer, ereignisreicher Tag geht zu Ende, an dem wir mehr erlebten, als manch einer in seinem ganzen Leben. Wild, frei und manchmal gefährlich - ist es nicht erstrebenswerter, seine Zeit so intensiv zu verbringen als in einem wohltemperierten, schön ausgestatteten Büro, eingesperrt in einem menschenfeindlichen Gefängnis aus Beton und Glas, hundert Jahre alt zu werden? Der Leser kann mir nicht wirklich einen Vorwurf dafür machen, dass ich nicht so sein kann wie andere mich haben wollen, selbst wenn ich es wirklich wollte. Ich kann nur ich sein so wie ich bin. Mich in meinem Alter noch ändern zu wollen wäre das Gleiche wie einer Heuschrecke das Hüpfen zu verbieten. Nach dem Abendessen rudern wir noch einmal auf den Fluss hinaus ohne den lauten Motor zu benutzen. Alles ist trügerisch still rings um uns her, nur der Bug des Kanus pflügt das träge Wasser. In regelmäßigen Abständen tauchen die Stechpaddel leise gurgelnd ins Wasser ein und wir gleiten langsam durch die Dunkelheit dahin. Von weither dringt der Todesschrei eines von einem Raubtier zur Strecke gebrachten Lebewesens ans Ohr, wird rasch schwächer und erstirbt abrupt. Rumoren im Wasser: Ein Alligator, scheinbar träge, einem Stück Treibholz zum Verwechseln ähnlich im Wasser lauernd, schnappt plötzlich explodierend einen unvorsichtigen Fisch. Irgendwo in Ufernähe drehen sich Körper platschend um die eigene Achse: Mehrere Alligatore haben sich in einen größeren Kadaver verbissen, drehen sich blitzschnell um die eigene Achse und reißen auf diese Art handliche Portionen heraus, die sie verschlingen. Man hört und ahnt das alles durch die Dunkelheit ohne viel zu sehen. Die Tiere, der Wald, die Pflanzen - alles lebt und stirbt in nie endenden Tragödien und ewigem Kreislauf. Der Starke frisst den Schwachen, der Vorsichtige überlebt den Unvorsichtigen. Seit Anbeginn der Zeit, die hier an ihrem Uranfang stehengeblieben zu sein scheint. Diese gewaltige Präsenz des Lebens und dessen Gegenstück, dem Tod, ist überall spürbar. Ohne Leben kein Tod und ohne Tod kein Leben. Ein ungeschriebenes Gesetz, eingebrannt in jedes schlagende Herz, jeder hier befolgt es. In der Nacht werden wir zu winzigen Teilchen die sich im lebendigen Ganzen verlieren. Indem wir klein werden begreifen wir wie groß das Ganze ist. Der Mensch in den Städten erfand für dieses Ganze den Namen Regenwald, um das Ungreifbare irgendwie fassen zu können. Wenn du aber den Pulsschlag dieses Kosmos nicht mit dem Herzen spürst, wie willst du ihn dann über tote wissenschaftliche Formeln als ein Lebewesen kennen lernen? Das ist so unmöglich wie der Versuch, eine Wolke vom Himmel zu holen und in einem tönernen Gefäß einzufangen. Celso leuchtet mit einer Taschenlampe die Umgebung ab: Plötzlich glimmen rund um das im Wasser treibende Kanu hunderte rot fluoreszierender Augen auf, die starr auf das Boot fixiert zu sein scheinen. Sie gehören Alligatoren, die im Wasser treiben oder am Ufer liegen. Augen- Blicke! Eine Begegnung, so flüchtig und vergänglich wie das Leben. Zwei Welten, unsere Menschenwelt und die von erdgeschichtlich uralten Raubechsen, berühren sich scheu an einem Schnittpunkt, nur um wieder auseinander zu laufen ohne sich wirklich zu treffen. Ein gespenstisches Spiel von Wassergeistern, schaurig-romantisch und zugleich berauschend schön. Welcher menschliche Wille bewahrt in dieser skurrilen Wasserwelt noch seinen Sinn, welches menschliche Trachten wäre hier von Dauer? Jose und ich paddeln während Celso eine alte Gitarre aus einem Sack hervorkramt und ein sentimentales Lied anstimmt, welches in der Nacht verhallt. >>Weil ich arm bin, ja weil ich arm bin wirst du mich nicht lieben können<< singen Jose und ich den uns wohlbekannten Refrain dass es eine Freude ist. Jetzt sind wir einfach glücklich. Spät in der Nacht kehren wir ins Camp zurück und machen es uns dort bequem.

 
 

Sechster Tag

Am Morgen paddeln wir ohne besonderes Ziel mit dem Boot langsam den Nebenfluss hinauf und hinab. Alligatore liegen allerorten träge am Ufer und ruhen sich mit zahnbewehrten, weit geöffneten Mäulern von der nächtlichen Jagd aus, auf aus dem Wasser ragenden Steinen liegen Schildkröten in der Sonne, in den Baumkronen sitzen Aras, Fischreiher und Störche. Eine Capibara Familie grast in Ufernähe im seichten Wasser Schlingpflanzen. Bei einer Flussbiegung tollt eine Horde Kapuzineraffen in den Bäumen. Rosa Süßwasserdelphine tauchen plötzlich prustend vor dem Boot auf und begleiten uns eine Weile neugierig. Leben wohin man blickt. Die Jagd ist im Madidi Nationalpark völlig zu Recht verboten. Aber fischen ist ohne Einschränkung erlaubt, jeder von uns steckt eine Angel ins Wasser. Innerhalb kurzer Zeit fangen wir einige stattliche Surubis und als Dreingabe jede Menge Piranas. Aus dem Fang bereiten wir uns eine herrliche Fischsuppe. Mehr wollen und brauchen wir nicht. Gerne würden Jose und ich uns auf der Insel gemütlich einrichten und eine Woche oder drei in Gedanken versunken angeln. Aber wir müssen bereits an den baldigen Rückweg denken. Wir schippern deshalb zum Rio Tuichi zurück. Auf ihm gelangen wir über die Stromschnellen der Puerta del Sol nach San Miguel, von wo es eine Busverbindung nach La Paz gibt.

 
 
  Ein um die drei Meter großer Alligator nimmt ein ausgedehntes Sonnenbad am Ufer des Rio Tuichi.
 
 
 
 

Einen Tag und eine Nacht später erreichen wir die Millionenstadt La Paz. Was für ein Wechsel! Wir reihen uns in die Menschenströme ein und werden wie von einer Lawine mitgezogen. Es wimmelt wie in einem Ameisenhaufen...

 
 

Nachtrag

Ich rechnete nicht damit, dass ich so schnell in die nördliche Apolobamba Region zurückkehren würde. Doch bereits einen Monat nach unserer Erkundungsexpedition beging ich >>meine<< neue Route mit drei konditionsstarken jungen Engländern denen der Sinn nach einer langen Unternehmung stand. Aus Erfahrung klug geworden, wiederholte sich das Missgeschick mit den Ameisen nicht mehr: In der fraglichen Gegend stellte ich die Zelte auf pfahlgestützte hölzerne Plattformen. Die Pfähle wurden zusätzlich durch beidseitig klebendes Klebeband ameisensicher präpariert. Dank der erworbenen Ortskenntnisse musste ich nicht lange suchen oder mich gar auf unzutreffende Angaben verlassen. Das Essen, eines der wichtigsten Kriterien für gute Laune und Kraft auf langen Wegen zu Fuß, war von gewohnt guter und abwechslungsreicher Bolivia Tours Qualität. Meine Begleiter mussten nur Reservewäsche und Kameraausrüstung tragen. Der Rest des Gepäcks wurde von Tragtieren bzw. Trägern befördert. Wir schafften gute Tagesetappen, trotzdem brauchten wir erwartungsgemäß 14 Tage von Agua Blanca bis Tuichi - was Jose Lazo's und meine sportliche Leistung von fünf Tagen Gehzeit für die gleiche Strecke in völlig unbekanntem Gelände ins rechte Licht rückt. An den Tieren des Rio Tuichi hatten sich meine jungen Freunde bald sattgesehen, weshalb dafür zwei volle Tage ausreichten.

Ich hoffe, dass bei meiner >>Schreibe<< etwas von der Begeisterung, dem Idealismus, der Freude und der Mühe, mit denen alle meine leichten und schweren individuell gestalteten Touren quer durch die Wildnisse und klimatischen Kontraste Boliviens entstehen, rübergekommen ist. Wenn der eine oder andere Leser den grundlegenden Unterschied zwischen Touranbietern, die immer wieder die gleichen abgedroschenen, überlaufenen und kaputtgeschriebenen Trekks kaufmännisch erfolgreich unter die Leute bringen und sehr seltenen, qualitativ hochwertigen Tourangeboten aus erster Hand erkennt und darüber nachzudenken beginnt, dann würde mich das sehr freuen.

 
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Letzte Aktualisierung: 18.03.05
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